Dolomiten 2009

Das Frühjahr begann mit schönen Mountainbike-Touren in Südtirol, warum also nicht den Saison-Abschluss im Herbst auf ähnliche Weise verbringen. Mit Reinhard war ich schnell einig und Björn, unser Gastgeber in Kaltern, schickte täglich die besten Wettervorhersagen. Ausgerechnet am Anreisetag drehte sich der Wetterfrosch und es regnete. Deshalb änderte ich die Reihenfolge meiner Vorhaben und fuhr, nach dem ich Reini in Kaltern abgesetzt hatte, gleich nach San Martino (in den Dolomiten) weiter, um dort meine Mutter und meine Schwester zu besuchen.

Nach einem zweiten Frühstück im Familienkreise trotzen Petra und ich dem feuchten Wetter und wandern los. San Martino liegt am Fuße einer Bergkette, die als Pale di San Martino bekannt ist. Für heute hatten wir uns den südlichen Teil ausgesucht, der quasi direkt vor der Haustüre liegt. Der Himmel ist bedeckt und hin und wieder regnet es leicht. Nebel steigt aus den Tälern auf und verdeckt die Sicht auf das Bergpanorama. Wer bei diesem Wetter zum ersten Mal hier ist, glaubt nicht, dass hinter dem Vorhang aus Wassertröpfchen eine tolle Bergkette in die Höhe ragt. Da sich die großen Attraktionen wettertechnisch verstecken, wenden wir uns den kleinen Sehenswürdigkeiten zu. Überall am Wegesrand stehen Pilze. Da das Sammeln verboten ist und die meisten eh giftig sind, beschränken wir uns auf das Fotografieren der Schwammerl. Unser Ziel, ein schöner Wasserfall, ist trotz des Regens so gut wie trocken. Wie heißt es so schön, „Im Wald da rauscht ein Wasserfall, wenn’s nicht mehr rauscht, ist’s Wasser all’!“  So stapfen wir eifrig auf schmalen Pfaden weiter, bis wir zufällig auf ein Rauschen stoßen. Wir gehen dem Geräusch nach und finden mehrere andere schöne Wasserfälle. Leider sind die Kaskaden schwer zugänglich und gerade der Weg (kaum so zu nennen) zu dem größten von ihnen, ist aus Sicherheitsgründen durch Verbotsschilder gesperrt.

Nach der Besichtigung marschieren wir Richtung Siror weiter. Wir kommen an Aussiedlerhöfen vorbei, deren Wachhunde uns schon von weitem bemerken. Das Wort „riechen“ habe ich absichtlich vermieden ;-). Zum Glück für uns liegen die Kläffer an der Kette und können uns beim Vorbeilaufen nur anbellen. Ob die Hunde das auch als Glück empfinden, wagen wir zu bezweifeln. Im Tal unten beginnt es wieder leicht zu regnen. Unsere Klamotten sind langsam klamm, außerdem knurren die Mägen. Zeit den Rückweg anzutreten. In einem Bogen steigen wir ins Tal hinab und wenden uns wieder Richtung Norden. Zufällig treffen wir den Metzger, bei dem wir heute Morgen noch schnell etwas für das Abendessen eingekauft hatten. Er ist gerade dabei frisches Gras für sein Vieh einzufahren. Nach einem kurzen Schwätzchen setzen wir unseren Weg fort, der nun hauptsächlich bergauf führt. Je näher wir unserem Zielort kommen, desto mehr Baustellen finden wir vor. Häuser, Straßen, Stromleitungen. Überall kreischen Sägen und rattern Bagger, irgendwie nervig. So langsam sind wir auch etwas fertig von der Wanderung, vielleicht nervt deshalb der Baulärm ganz besonders. Dann sind wir endlich am Ziel. Nichts wie raus aus den klammen Sachen und ab unter die heiße Dusche, während die Mutter sich um das Abendessen kümmert.

Aus dem Netz hatte ich eine Mountainbikestrecke runtergeladen, um auch den nördlichen Teil der Pale die San Martino zu erkunden. Da Petra kein Fahrrad dabei hatte, machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Im Gegensatz zu gestern ist der Himmel wolkenlos und die Sonne lacht über alle vier Backen. Mit dem Auto fahren wir zum Passo Rolle hinauf und parken das Gefährt kurz vor der Passhöhe. Dann folgen wir der Ausschilderung zur Baita Segantini und wandern den Berg hinauf. Uns eröffnen sich tolle Ausblicke auf den Cime Vezzana und die Rosetta. Hinter der Baita Segantini steht auf einer Anhöhe ein Denkmal für den Dichter Alfredo Paluselli. Er hatte vor langer Zeit sogar ein Gedicht für meine Mutter geschrieben.

Zunächst sind wir alleine unterwegs, doch je weiter wir jedoch ins Tal kommen, umso mehr Wanderer kommen uns entgegen. Ganz klar, dann kann der nächste Parkplatz ja nicht weit sein. Wir kommen an einer bewirtschafteten Hütte vorbei und überlegen, ob wir nicht einen Cappuccino trinken sollen. Doch es ist hier etwas viel Trubel, da wollen wir lieber weiter laufen. Linkerhand weiden Pferde, die feuchten Wiesen dampfen unter den Sonnenstrahlen. Rechts erheben sich majestätisch die grauen Felsen, in deren Schatten sich große Schneeflecken befinden. Dann wird der Wald dichter. Bäche plätschern durch ihr steiniges Bett, begleiten unseren Weg und spiegeln funkelnd die Sonnenstrahlen wider, die sich einen Weg durch das Geäst gebahnt haben. Am Ende des Weges erreichen wir die Straße zum Passo Valles. Ein Blick auf das GPS zeigt, dass wir ab jetzt anscheinend am Straßenrand bis zum Passo Rolle hinauf laufen müssen. Keine schönen Aussichten, da hätte ich vorher etwas besser recherchieren sollen :-(.

Knappe sechs Kilometer vor der Passhöhe biegen wir in Richtung Lago die Colbricon ab. Dieser Weg sollte zwar ein leichter Umweg sein, aber immer noch besser, als an der Teerbahn entlang zu latschen. Ein Stück weit folgen wir einem einfachen Schotterweg durch den Wald. Dann müssen wir auf einem schmalen Trail steil bergauf laufen und erreichen eine Hochebene. Komischerweise entfernt sich der Weg immer weiter vom Passo Rolle, das war so nicht geplant. Es hilft nichts, wir müssen ein Stück querfeldein laufen, wenn wir uns nicht immer weiter vom Pass entfernen wollen. Natürlich ist der direkte Weg nicht ganz so einfach zu meistern. Morastige Wiesen, steile Anstiege, ein tief eingeschnittener Bach der überwunden werden muss, stellen kleinere und größere Hindernisse dar. Dafür sehen wir kapitale Hirsche, die unseren Weg kreuzen und Spuren von allerlei anderem Getier. Etwas erschöpft erreichen wir dann endlich die Straße und nach ein paar hundert Metern auch den Parkplatz. Gut 24 Kilometer haben wir hinter uns gebracht, aber das nächste Mal bereiten wir uns besser vor ;-)

Meine Hosen sehen aus, als ob ich die halbe Strecke auf dem Bauch entlang gerobbt wäre und so müssen wir jetzt noch schnell nach Bozen runter und unsere Cousine Tatjana samt ihrer Tochter Larissa vom Bahnhof abholen. Die Wanderung hatte länger als geplant gedauert, so bleibt keine Zeit für die Rückfahrt, um die Klamotten zu wechseln. Leider haben wir beide auch kein Handy dabei, um unserer Mutter Bescheid zu sagen. Was soll’s, fahren wir los. Für die ca. 83 Kilometer brauchen wir wegen der Kurven und dem Verkehr anderthalb Stunden und schaffen es gerade noch rechtzeitig am Bahnhof zu sein. Nach dem der Zug eingefahren ist und die Leute aus- und eingestiegen sind, leert sich der Bahnsteig wieder. Zum Schluss stehen wir alleine da und keines der Mädels ist in Sicht. Wenn wir jetzt anrufen könnten. Vom öffentlichen Fernsprecher aus versuche ich die Handys von mir und Petra zu erreichen, in der Hoffnung, dass unsere Mutter rangeht. Aber niemand nimmt ab. Die Handynummer von Tatjana wissen wir nicht auswendig. Wir suchen noch mal den Bahnhof ab und fahren dann zurück.

Mittlerweile ist es dunkel und die Straße zum Passo Rolle hinauf ist von allerlei Viehzeug bevölkert. Jede Menge Hirsche und Rehe, ein Fuchs, Hasen usw. werfen sich vor unsere Kühlerhaube. Dem entsprechend vorsichtig und jederzeit bremsbereit müssen wir fahren. Als wir endlich in San Martino ankommen, finden wir einen Zettel, dass der Zug später ankommt, nämlich gerade jetzt! Petra holt ihr Handy und wir düsen wieder nach Bozen los. Wieder brauchen wir gute anderthalb Stunden. Mittlerweile telefoniert Petra mit Tatjana und es stellt sich heraus, dass ihr Zug einen Defekt hatte und sie den nächsten nehmen mussten, deshalb die Verspätung. Bei einem kurzen Stopp vor dem Bahnhof laden wir rasch die Mädels samt Gepäck ein und quälen uns den ganzen Weg wieder zurück. Mittlerweile kennen wir jedes Reh mit dem Vornamen. Aber ich muss nicht nur wegen dem Getier langsam machen, die Cousinen vertragen auch die Kurvenfahrerei nicht gut. In Ermangelung von den bestimmten Beuteln, wie sie in Flugzeugen bereitgehalten werden, muss ich meine Fahrweise noch weiter anpassen, damit ich nicht noch einen „warmen Rücken“ bekomme ;-).

Um 23:30 sind wir endlich am Haus zurück. Die Mutter hat schon Spaghetti aufgesetzt, die wir gegen Mitternacht endlich verspeisen können. Petra und ich haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und nach der langen Wanderung hängen die Mägen in den Kniekehlen. Zur Feier des Tages gibt es noch einen Sekt, bevor wir todmüde in die Betten fallen. Morgen muss ich zeitig wieder aufstehen, Frühaufsteher Reinhard wartet schon mit gesatteltem Rad auf mich …